Aus Untergrundkämpfern sind Gouverneure geworden, aus Bauersjungen Polizisten, aus international gesuchten Terroristen Minister. Die Führung schickt Delegationen in die Welt, die um diplomatische Anerkennung werben. Gleichzeitig müssen sich die Mujaheddin in einer Realität zurecht finden, die sich nicht mehr nur um Gewalt, Kampf und Entbehrung in der Hoffnung auf einen Sieg dreht, sondern um die Banalitäten des Alltags und die Versuchungen der Moderne.
Auf der einen Seite wollen die Taliban internationale Anerkennung, müssen deshalb den Anschein aufrecht halten, dass sie sich geändert haben, dass sie zivilisierter, weniger brutal sind als zu ihrer Herrschaft um die Jahrtausendwende. Auf der anderen Seite sind sie angetreten, einen islamischen Staat zu errichten, der in der Interpretation der Taliban absolute Unterordnung an deren Moralvorstellungen fordert. Wenn sie Ersteres nicht schaffen, fließen keine Hilfsgelder. Wenn sie letzteres nicht umsetzen, laufen sie Gefahr, Unterstützer zu verlieren und in die Hände noch radikalerer Kräfte zu treiben.
Um eine Idee davon zu bekommen, wohin es mit Afghanistan gehen könnte, hat sich der Fotograf und Autor Daniel Etter den Alltag unter den Taliban in Kabul angeschaut. Der erste Winter des Emirates zeigt einen Staat in Wartestellung und eine neue Regierung, die Unvereinbares vereinbaren muss, die nach Außen freundlich auftritt und im Inneren skrupellos vorgeht.