Neu bei laif: Nico Kurth

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Wir freuen uns, Nico Kurth als neuen laif-Fotografen vorstellen zu können. Nico fotografiert Portraits und Reportagen für Magazine und Zeitungen, sowie Kampagnen und Corporate-Jobs für Agenturen und Konzerne. Außerdem dreht er Videos im Bereich Kunst, Kultur, Lifestyle sowie Auftragsarbeiten.

Geboren 1985 in Brandenburg hat er an der FH Dortmund sein Diplom Fotodesign Studium absolviert und lebt heute mit seiner Frau und vier Kindern in Heilbronn. In seinen dokumentarisch-subjektiven freien Arbeiten beschäftigt er sich vorrangig mit sozialen Themen, physischen Grenzregionen, Unorten und den unsichtbaren Randgebieten unserer Zeit. In seiner Diplomarbeit NIKOSIA – the last divided capital dokumentierte er die Grenzregion Zyperns und deren Bewohner.

 

Du fotografierst sowohl für Magazine als auch für Unternehmen. Wie unterscheidet sich dein Ansatz, wenn du für journalistische Reportagen versus Corporate-Jobs arbeitest?

Das Spannende ist: Unternehmen, die mich anfragen, möchten genau den Bildstil, den sie aus meinen Porträts und Reportagen in journalistischen Magazinen kennen. Der Wunsch nach authentischen, individuellen Bildern wird immer größer – besonders in Zeiten von KI-generierten Inhalten. Klassische Corporate-Fotografie (hell, geblitzt, freundlich) hat sicher noch ihre Berechtigung, aber sie wirkt zunehmend austauschbar.

Gerade wenn ich CEOs großer Konzerne für journalistische Publikationen fotografiere, erlebe ich oft, wie die internen PR-Abteilungen versuchen, generische Posen wie „Person lehnt am Geländer“ durchzusetzen. Dann braucht es Fingerspitzengefühl, Timing und Menschenkenntnis, um meine eigene Bildsprache durchzusetzen – ohne den respektvollen Umgang aus den Augen zu verlieren.

Bei Corporate-Aufträgen verfolge ich grundsätzlich denselben Ansatz wie bei redaktionellen Jobs. Der Unterschied liegt eher in den Rahmenbedingungen: Der Faktor Zeit ist meist großzügiger, das Shooting strukturierter. Oft zeige ich die Bilder direkt auf dem iPad, der Kunde ist eng eingebunden. Was ich allerdings nicht mache, ist jedes einzelne Motiv vorher bis ins kleinste Detail durchzuplanen. Ich bin kein Werbefotograf.

Ich arbeite gerne schnell, intuitiv und mit einem offenen Blick für das, was vor Ort passiert. Das vorhandene Licht, der Zufall, der Moment – all das sind kreative Mittel, die ich bewusst einsetze. Wichtigster Faktor ist für mich aber immer der respektvolle, menschliche Umgang auf Augenhöhe. Alles andere ergibt sich daraus.

 

Wir hatten das letzte Mal über die Stadtmarketingkampagne »Du machst Heilbronn« gesprochen, die du fotografisch begleitet hast. Wenn du jetzt mit etwas Abstand zurückblickst: Was hat dich an diesem Projekt besonders gereizt?

Mich hat vor allem die große Offenheit von Stadt Heilbronn und der Agentur wirDesign fasziniert. Sie haben sich im Vorfeld nicht auf eine konkrete Bildsprache festgelegt, sondern mir völligen Freiraum gegeben. Dadurch konnte ich mich ganz auf die Menschen und ihre Geschichten einlassen, ohne ständig über den finalen Output nachdenken zu müssen.

In der zweiten Shooting-Phase bestand die Herausforderung darin, mit sehr knapp bemessenen Zeitslots zu arbeiten: Alle Protagonist:innen standen uns nur für wenige Minuten zur Verfügung. Genau dieser Zeitdruck hat den Reiz noch verstärkt – denn er zwang mich, schnell empathische, authentische Momente einzufangen und mein Vorgehen spontan anzupassen.

 

Deine freien Arbeiten sind sehr dokumentarisch und sozial engagiert. Wie findest du die Themen, mit denen du dich beschäftigst?

Ich kann gar nicht genau sagen, woher das kommt – aber mich haben schon immer die Ränder unserer Gesellschaft interessiert. Bereits als Jugendlicher habe ich mich in ersten Projekten mit sozialdokumentarischen Themen beschäftigt.

Oft habe ich das Gefühl, dass die Themen mich finden – nicht umgekehrt. Aktuell arbeite ich zum Beispiel an einer Serie über Menschen mit körperlichen Einschränkungen in einer Rollstuhlfahrer-WG. Der Kontakt kam über einen befreundeten Fotografen zustande, der mich für einen Job angefragt hatte.

Manchmal entstehen neue Ideen auch ganz unerwartet im Alltag: Mein zweitältester Sohn ist seit einigen Wochen beim Kickboxen – und das Thema Kampfsport hat mich so gepackt, dass ich selbst mit Muay Thai angefangen habe. Ein unglaublich harter, gleichzeitig aber sehr respektvoller und spiritueller Sport. Ich habe mir vorgenommen, in den nächsten zehn Jahren auf allen Kontinenten zu fotografieren – und ganz besonders in Thailand, dem Ursprungsland des Thaiboxens. Wenn das Fotobuch 2035 erscheint, sprechen wir gerne nochmal darüber.

 

Du bist auch im Videobereich tätig. Was reizt dich daran im Vergleich zur Fotografie?

Manchmal habe ich das Gefühl, in der Fotografie das »Game« schon ein Stück weit durchgespielt zu haben. Video hingegen ist für mich eine völlig neue Spielwiese – kreativ, technisch, konzeptionell. Schon früh hatte ich den Wunsch, Film zu studieren, aber der organisatorische und produktionstechnische Aufwand war damals eine große Hürde. Heute ist der Einstieg dank moderner Technik viel zugänglicher, und genau das macht es für mich so spannend.

Im Film kommt die Dimension Zeit hinzu. Es geht nicht nur um Bildkomposition, sondern auch um Rhythmus, Dramaturgie und Atmosphäre. Plötzlich spielen Framerates, Codecs, Musik und Schnitt eine Rolle – das ist komplex, fordernd und genau deshalb so faszinierend. Für mich ist Video kein Ersatz, sondern eine Erweiterung meiner fotografischen Arbeit – mit unendlich vielen Möglichkeiten.

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Gibt es Themen oder Geschichten, die sich deiner Meinung nach besser im Video erzählen lassen als in einem Foto – und umgekehrt?

Ja, definitiv. Video hat durch die zusätzliche Ebene von Ton – sei es Musik, Atmosphäre oder O-Ton – ein enormes emotionales Potenzial. Man kann damit sehr direkt Stimmungen erzeugen, Spannungen aufbauen oder Nähe schaffen. Das macht Video zu einem unglaublich starken Ausdrucksmittel, gerade wenn es um komplexe, emotionale Geschichten geht.

Gleichzeitig glaube ich, dass Fotografie ihre ganz eigene Kraft hat – eine Form der Verdichtung, die oft mehr andeutet als erklärt. Ein starkes Foto kann innehalten lassen, Fragen aufwerfen, Interpretationsspielraum bieten.

Ich finde es spannend, wie sich beide Medien gegenseitig ergänzen können. Es gibt einige Magnum-Fotograf:innen, die genau das beeindruckend umgesetzt haben – sie kombinieren Standbild und Bewegtbild auf eine Weise, die neue Ebenen im Erzählen eröffnet.

 

Familie und Beruf zu verbinden ist oft ein Balanceakt. Wie gelingt es dir, als vierfacher Vater kreativ und produktiv zu bleiben?

Für uns als Familie haben die Kinder eine hohe Priorität. Das heißt nicht, dass sich alles nur um sie dreht – aber wir möchten genug Zeit haben, um ihre Termine, Hobbys und Entwicklungen bewusst mitzubekommen.

Meine Frau hat früher als freiberufliche Stylistin für Foto- und Filmproduktionen gearbeitet, sich aber ganz bewusst entschieden, ihre berufliche Tätigkeit zu pausieren. Das klingt vielleicht nach einem klassischen Rollenmodell – bringt aber in unserem Fall viel Ruhe und Ausgeglichenheit in den Alltag. Gleichzeitig bedeutet es natürlich auch Druck: Als Alleinverdiener trage ich die volle finanzielle Verantwortung. Viel Raum für freie Projekte bleibt da nicht, und ich muss gut abwägen, ob sich ein Projekt wirklich lohnt – inhaltlich wie wirtschaftlich.

Was mir hilft: Viele Editorial-Jobs, gerade im Portraitbereich, fühlen sich für mich wie kleine freie Projekte an. Die Bildredaktionen geben mir oft großen gestalterischen Freiraum, was mir sehr entgegenkommt. Die unterschiedlichen Menschen, die ich dabei treffe, und die Gespräche, die sich ergeben, sind eine ständige Quelle der Inspiration. Meine Produktivität entsteht oft genau durch die zeitliche Begrenzung. Ich arbeite fokussierter und habe gelernt, auch mal Nein zu sagen – was mir früher sehr schwergefallen ist. Heute weiß ich: Kreativität braucht nicht nur Raum, sondern auch Klarheit.

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