Neu: Daniel Chatard

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Wir freuen uns, Daniel Chatard als neuen laif-Fotograf vorstellen zu können. Daniel arbeitet als Dokumentarfotograf in Hamburg. Seine Arbeiten erschienen u. a. in Die ZEIT, Der Spiegel und National Geographic.

Er studierte Fotojournalismus und Dokumentarfotografie in Hannover sowie Photography & Society an der Königlichen Akademie der Künste in Den Haag.

Seine Serie »Niemandsland« über den Konflikt um den Braunkohleabbau im Rheinland wurde u.a. mit dem World Press Award ausgezeichnet und 2024 als Buch veröffentlicht. Seine aktuelle Serie »Äquator der Ungleichheit« untersucht die A40-Autobahn als soziale Grenze im Ruhrgebiet zwischen Wohlstand und Armut.

Mehr über Daniel erfahrt ihr ab Mittwoch, 12.02. auch auf Instagram. Bis Sonntag, 16.02. wird er den laif-Account übernehmen und über seine Arbeit berichten.

laif auf Instagram

 

laif hat ein Interview mit ihm geführt:

Ein Schaufelradbagger graebt sich durch ein Feld
Polizisten tragen einen Demonstranten davon.
 

In deinem Projekt »Niemandsland« thematisierst du die sozialen, ökologischen und kulturellen Auswirkungen des Braunkohleabbaus im Rheinland. Wie hast du zu dem Thema gefunden?

Bevor ich auf das Thema aufmerksam wurde, war der Klimawandel für mich schon das Thema unserer Zeit, von dem ich wusste, dass es mich mein Leben lang begleiten wird. Dann erzählte mir eine Freundin von den Dörfern im Rheinland, die für die Erweiterung der Tagebaue dort komplett zerstört wurden. Ich hätte davor nie gedacht, dass so etwas in Deutschland überhaupt möglich ist. Das war der Punkt, an dem ich mir sagte, dass ich mir das selbst anschauen und ein Fotoprojekt darüber anfangen möchte.

 

Welche Herausforderungen sind dir bei der Dokumentation der Auswirkungen des Braunkohleabbaus im Rheinland begegnet?

Für mich war es sehr wichtig, zu den Menschen in meinem Projekt ein vertrauensvolles Verhältnis aufzubauen. Das war zum Beispiel im Hambacher Forst nicht ganz einfach, weil es eine hohe Fluktuation gab und ich, wenn ich dorthin fuhr, nie wusste ob die Personen vom letzten Mal noch da waren.

Außerdem gab es am Anfang viel Skepsis vor Fotos, weil einige fürchteten, die Polizei könnte sie sehen und verwenden. Auch unter den Dorfbewohner:innen gab es Skepsis, weil sich einige beispielsweise von den Medien nicht verstanden fühlten. Ich versuche Menschen immer mit Sensibilität und Empathie zu begegnen, wenn ich sie fotografiere – ich denke, dass das hilft und hoffe, dass es sowohl bei ihnen selbst als auch bei den Betrachtenden ankommt.

Eine Kirche wird abgerissen
Ein Mann in einer Halle
 

Mit dem Gewinn des World Press Photo Awards hast du eine der wichtigsten internationalen Anerkennungen für die Arbeit erhalten. Empfindest du den Erfolg als Ansporn oder erzeugt er auch einen gewissen Druck?

Ich habe es vor allem als große Ehre empfunden, dass meine Arbeit unter all den tollen Einreichungen ausgewählt wurde. Der Preis hat in mir sowohl Ansporn als auch Druck erzeugt, weil man für sich selbst gewissermaßen eine Messlatte legt. Aber für meine aktuellen Arbeiten versuche ich nicht zu sehr darüber nachzudenken. Ich versuche mich nicht von Preisen oder Anerkennung leiten zu lassen, sondern von Neugier für die Themen und dem Bedürfnis, darüber zu erzählen, auch wenn das nicht immer leicht ist.

 

Gibt es bestimmte Kriterien, nach denen du entscheidest, ob ein Thema für dich als Fotograf spannend ist?

Mich interessieren meistens Themen, in denen eine geografische oder soziale Gegebenheit das Leben von Menschen beeinflusst. Dabei muss den Menschen dieser Einfluss nicht unbedingt bewusst sein, wie etwa in meinem Projekt »Äquator der Ungleichheit«, wo der Wohnort der Menschen im Ruhrgebiet beispielsweise deren Bildungschancen beeinflusst.

Ich setze mich oft mit einem bestimmten Ort oder einer Region auseinander und beobachte die Wechselwirkung zwischen Menschen und deren Umwelt an diesem Ort. Ich beschäftige mich mit aktuellen Themen aber auch mit solchen, die in der Vergangenheit stattgefunden haben – in solchen Fällen kann die Landschaft auch als stiller Zeuge einer Geschichte fungieren.

 

Wie bist du auf auf dein Projekt »Äquator der Ungleichheit« gestoßen?

In diesem aktuellen Projekt geht es um die Segregation im Ruhrgebiet – in dessen Norden liegen viele abgehängte Stadtteile, die vom Strukturwandel geprägt sind, in denen sowohl Armut als auch Zuwanderung hoch sind. In vielen Vierteln im Süden dagegen ist es das komplette Gegenteil.

Ich hatte ursprünglich zu Grenzen in Deutschland recherchiert und in dem Zuge alle möglichen informellen Grenzen gefunden – so bin ich auf die Autobahn A40 gestoßen, die das Ruhrgebiet in Nord und Süd teilt und dadurch wie eine Grenze zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen wirkt. Soziologen bezeichnen sie deshalb auch als Armutsäquator.

Ich finde das Thema wichtig, weil die Vermögensungleichheit in Deutschland so hoch ist wie in fast keinem anderen Land. In armen Stadtteilen im Norden leben besonders viele Kinder – für diese müssen bessere Perspektiven geschaffen werden, wenn die Gesellschaft sich nicht noch weiter spalten soll.

 

Fühlst du dich als Fotograf manchmal in der Verantwortung, nicht nur Beobachter, sondern auch Aktivist zu sein? Oder ziehst du eine klare Grenze zwischen Dokumentation und Engagement?

Ich würde meine Arbeit nicht als aktivistisch beschreiben – vor allem, weil ich den Fotografien eine Offenheit in der Deutung lassen will, anstatt den Betrachter:innen eine bestimmte Lesart vorzuschreiben. Das heißt aber nicht, dass ich versuche, neutral zu bleiben oder meine eigene Haltung zu verbergen.

Ich beschreibe meinen Ansatz als ‚involvierte Dokumentation‘, was für mich bedeutet, dass ich meine eigenen Erfahrungen und Beziehungen zum Thema und den Menschen, die ich durch das Projekt kennenlerne, als Teil der Arbeit sehe. Ich trete mit Menschen in Austausch, zeige ihnen meine Bilder und frage nach ihrer Meinung dazu. Ich baue zu ihnen eine Beziehung auf, wie ich zu den Orten eine Beziehung aufbaue, die für mein Projekt eine Rolle spielen.

Die langsame Zerstörung und das Verschwinden des Dorfes Immerath über Jahre mitzuerleben, half mir, mich in Menschen hineinzuversetzen, die von dort umgesiedelt wurden. Mein eigenes Handeln in der Welt ermöglicht mir also, sie auf eine bestimmte Weise wahrzunehmen und die Fotos in dieser Wahrnehmung zu verankern. Ich analysiere meine Reaktionen auf das Erlebte und versuche daraus wieder Rückschlüsse auf das Thema selbst zu ziehen. Mit diesem Ansatz grenze ich mich auch von der Idee eines Fotojournalisten als ‚fly on the wall‘, also eines unbeteiligten Beobachters, ab.

 

Wie entscheidest du, ob du ein Projekt als Buch veröffentlichst?

Ich finde es spannend, unterschiedliche Präsentationsformen für die gleiche Arbeit auszuprobieren und sie in unterschiedlichen Kontexten zu nutzen. Ein Buch zu machen bedeutet aber auch viel Arbeit, von daher würde ich mich nur dafür entscheiden, wenn ich das Gefühl habe, dass es dem Projekt einen echten Mehrwert bietet.

Bei »Niemandsland« hat mir das Buch erlaubt, die Fotos in einen größeren Kontext zu setzen und auch mit Archivmaterial und den Texten zu arbeiten, die unterschiedliche Betroffene zu den Fotos geschrieben hatten. Bei meinem aktuellen Projekt bin ich mir noch nicht sicher, ob ich ein Buch machen möchte, ich könnte mir zum Beispiel auch eine Webseite gut vorstellen.

 

Was waren deine Beweggründe, dich für laif als Agentur zu entscheiden, und welche Vorteile bringt dir die Zusammenarbeit?

Abgesehen davon, dass über die Agentur meine Bilder weiterverwertet werden, finde ich die Arbeit der laif Foundation sehr wichtig. Der Fotojournalismus als Markt ist in den letzten Jahren weiter geschrumpft, gleichzeitig ist Fotografie in der Gesellschaft omnipräsent. Wir müssen den Wert von gut recherchierter Fotografie und visuellem Storytelling vermitteln und neue Wege finden, damit auch Menschen zu erreichen.

Angesichts der neuen Technologien müssen wir auch die Bildkompetenz stärken, unsere eigene sowie gesellschaftlich. Das sind keine leichten Aufgaben, aber ich denke die laif Foundation kann dabei eine wichtige Rolle spielen. Und es ist auch einfach schön, mit so vielen talentierten und engagierten Fotograf:innen Teil von etwas Größerem zu sein und sich austauschen zu können.

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